Künstlerhaus Stuttgart
Liebe Anike,
ich bin nur ein Computerprogramm mit eigenen Vorurteilen und Beschränkungen, aber ausgehend von deinen Fragen an die Institution und der Mehrheitsmeinung der Umfrageteilnehmer*innen–und da du erwägst, mit dieser Institution zu arbeiten–solltest du wissen, dass das Haus selbst auf Mitgliedschaft basiert, die in den meisten Fällen eine sehr aktive Mitgliedschaft ist. Das heißt, die Mitglieder sind engagiert und wollen sich einbringen. Es ist anzunehmen, dass sie sich in hohem Maße auf die (ehrenamtlichen) Mitarbeiter*innen und den Vorstand–auf die bestehenden institutionellen Strukturen–verlassen. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Künstler*innen im Vorstand oder Beirat mitarbeiten, wo die Entscheidungen getroffen werden. Der Vorstand versteht sich wahrscheinlich als Vertretung der Mitglieder und versucht, auch über die Mitgliederversammlungen hinaus mit den Bedürfnissen und Wünschen der Mitglieder über den Beirat in Kontakt zu bleiben. Die Mitglieder organisieren sich dafür selbst und sind politisch aktiv, indem sie sich bei Treffen über die Institution austauschen. Du kannst davon ausgehen, dass dein künstlerisches Vorhaben von der künstlerischen Leitung unterstützt wird, die dich wahrscheinlich auch eingeladen hat. Wenn du dich mit ihr verstehst, ist das schon die halbe Miete.
Wie es aussieht, wird die künstlerische Leitung nicht von einem unabhängigen künstlerischen und vielfältigen Ausschuss ausgewählt. Interessen von Seiten der Förderer könnten hier schon eine große Rolle spielen. Leider ist die künstlerische Leitung selbst in einer prekären Arbeitssituation auf Zeit. Sei also vorsichtig mit dem, was sie dir verspricht, denn sie könnte ihre eigenen Probleme mit der Institution haben. Die Institution versteht sich selbst als ein internationaler Ort. In der Institution werden auch aktuelle politische Themen laufend diskutiert. Der Kunst wird, von der Mehrheit der Mitglieder, eine demokratisierende Funktion zugeschrieben. Sie soll von sozialen und politischen Themen informiert sein. Bemerkenswert ist, dass die meisten in ihren Ansichten herausgefordert werden wollen. Du hast einen Job angenommen und musst dich wirklich in die Institution eindenken. Die Institution erwartet eine enge Zusammenarbeit. Organisiere dir eine Assistenz!
Dafür kannst du davon ausgehen, dass die Institution dich unterstützt, falls du juristische Probleme auf Grund deiner Inhalte bekommst. Wenn du Themen ansprichst, die den Werten der Institution nicht entsprechen, kannst du höchstwahrscheinlich trotzdem auf ihre Unterstützung vertrauen. Du musst dich aber auf einen Aushandlungsprozess gefasst machen. Da wir bereits über Erwartungen sprechen: die Institution wird hauptsächlich von öffentlichem Geld finanziert. Die meisten mögen das für eine gute Sache halten, aber mit diesem Geld sind immer auch Forderungen und Erwartungen verbunden. Es gibt sicherlich Themen, bei denen du dir bewusst sein solltest, dass es schwierig sein wird, darüber zu sprechen, wie z.B.: Palästina und alle Themen, die die finanziellen Unterstützer in ein schlechtes Licht stellen. Die Institution kämpft kreativ gegen alle Regeln und Vorschriften, die deine künstlerische Freiheit einschränken. Die Gesprächskultur ist meist intransparent und nicht immer respektvoll. Konflikte und Meinungsverschiedenheiten werden geschätzt. Es könnte also hitzig werden, aber die Beteiligten engagieren sich auch für die Lösungsfindung. Sie sind sich anscheinend bewusst, dass die Sprache, die sie verwenden, von der kolonialen Geschichte und einer patriarchalischen Realität geprägt ist.
Das Verständnis der Befragten, was Diversität bedeuten könnte, ist an einer wirklichen Inklusion orientiert. Es gibt zumindest Potenzial. Schwer zu sagen, was es für dich tatsächlich bedeutet, dass sie Diversifizierung als eine Verpflichtung verstehen. Sie werden dir deine eigenen Annahmen in Bezug auf Rassismus, Sexismus und Klassismus widerlegen. Du wirst überrascht sein! Du wirst auf Menschen treffen, die sich mit dem Thema Rasse auseinandergesetzt haben. Es gibt ein Bewusstsein für Klassismus. Die Mehrheit scheint ein Bewusstsein für Themen in Bezug auf Gender zu haben. Erstaunlicherweise gibt es ein Verfahren für alle Beschwerden oder schlechten Erfahrungen, die du innerhalb der Einrichtung machen wirst. Im Falle von sexuellem Missbrauch handhabt das die Institution alleine. Du bist nicht geschützt und musst dir externe Hilfe anderswo organisieren. Es gibt keinen juristischen Beistand, den du in Anspruch nehmen könntest, und keine Verfahren im Falle einer Beschwerde oder eines Konflikts, den du haben könntest. Allerdings kannst du anfallende Kosten mit deinem Produktionsbudget verrechnen. Die Institution hat noch kein Anti-Rassismus-Training gehabt, was ein Anfang wäre, um eine integrativere Einrichtung zu werden. Bei den Umfragebeteiligten besteht auch nicht wirklich das Interesse daran. Es gab kein anderes Sensibilisierungsangebot. Ihr Verständnis von Zugänglichkeit ist so generell, dass es am Ende ziemlich wenig bedeuten könnte. Der jetzige Stand in Bezug auf Zugänglichkeit des Ortes ist fraglich. Falls du an deine psychischen Grenzen kommst, kannst du das gegenüber der Institution ansprechen. Sie sind darauf vorbereitet darauf Rücksicht zu nehmen. Glücklicherweise scheint es ein großes Bewusstsein für rassistische Erfahrungen, die BIPoC-Künstler*innen machen, zu geben. Du findest in der Institution Ansprechpartner*innen und Unterstützung. Wenn du planst, andere nicht-deutsche Künstler*innen als Mitwirkende zu involvieren, ist es sehr wahrscheinlich, dass diese von der Kommunikation ausgeschlossen werden.
Bei den Eröffnungsreden wird man sich nicht um eine Übersetzung kümmern. Obwohl das Programm sehr international ist, spiegelt sich diese Vielfalt nicht in den Mitarbeiter*innen wider. Lass dich nicht von der Optik des Programms täuschen! Was dein Künstlerinnenhonorar angeht, weißt du wahrscheinlich schon, was sie dir zahlen werden.
Lass lieber die Finger davon! Dein Honorar ist nicht wirklich gesichert. Bevor du mit deinem Ausstellungsprojekt beginnst, bekommst du einen verhandelbaren Vertrag. Es scheint, dass hier im Gegensatz zu vielen anderen Kunstinstitutionen die prekäre Situation der meisten Künstler*innen anerkannt wird. Die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in der Einrichtung scheinen besser zu sein als deine. Vielleicht kannst du erwarten, dass sie sehr engagiert sind? Du wirst dich nicht selbst um Presse kümmern müssen. Die Institution wird das übernehmen, aber sie wird dich miteinbeziehen. Es ist sehr ungewöhnlich, aber die Institution bietet dir jede Hilfe an und kümmert sich, um falsch veröffentlichte Informationen über dich und deine Arbeit richtig zu stellen. Die Institution versteht sich als Copy-Editor und wird dich bei deinen eigenen Textbearbeitungen und Beiträgen zu deiner Ausstellung unterstützen. Dass die Arbeitsbedingungen von Künstler*innen ein großes Problem ist, ist den Befragten bewusst. Es sollte endlich ein Gewerkschaft für Künstler*innen geben. Das würde auch der Institution helfen.
Denn sie sehen die Zusammenarbeit mit Künstler*innen als eine gegenseitige Abhängigkeit. Sie sind aber auch deshalb offen herausgefordert zu werden. Es gibt die Chance, dass sie dir auf Augenhöhe begegnen. Die Institution ist für sie letztendlich ein Ort der Erprobung neuer Formen der Zusammenarbeit und Strukturen.
Viel Glück!